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Forum Gedichte

Über dem Wasser

Gergana Ghanbarian Baleva

ER kam allein, mit der Fähre über den Ärmelkanal nach Calais, weil er wollte.
SIE mit einem Säugling auf dem Arm, zusammen mit vielen anderen auf dem Schlauchboot über die hohen Wellen des Mittelmeers, weil sie keine andere Wahl hatte.

ER kannte das Land von früher, vom Strand- und Skiurlaube, kam wegen des schönen Klimas, die herrliche Landschaft und der Gastfreundlichkeit der Menschen.

SIE wusste vordem nicht mal, dass es dieses Land gab. Wie man es schieb sowieso nicht, den SIE kann nicht weder lesen noch schreiben.

Während ER jedes Wochenende auf dem Bio-Markt in der Hauptstadt den unmittelbaren Kontakt zu den Leuten sucht, meidet SIE immer das Stadtzentrum, Krankenhäuser, Spielplätze und besonders die Orte, wo SIE besonders Glatzköpfe vermutet.

ER geht offen auf jeden zu, SIE hat besonders unter Männern Stereotypen entwickelt, schätz sekundenschnell wer eine potenzielle Gefahr für SIE ist.

ER ist weiß, womöglich zum Christentum zugehörig und ledig.
SIE ist schwarz, trägt ein Kopftuch und allein mit einem Kind.

ER spricht schon ein wenig die Landessprache, obwohl alle mit ihm lieber Englisch sprechen wollen. Seinen Akzent finden die anderen äußerst charmant.

SIE kennt bis her nur wenige Worte, denn mit ihr spricht niemand. Zu den wenigen Brocken gehören die Worte, die SIE am häufigsten über sich hört: „Affe“, „Missgeburt“ und „Drecksstück“.

Während viele IHN am liebsten zu sich nach Hause einladen würden, um mehr über diesen, witzigen Exoten zu erfahren, lässt man SIE nicht mal zum Putzen im Treppenhaus rein.
IHM standen und stehen alle Türe offen, seine Orangenmarmeladen, Chutneys und sein Apfelketchup verkauft er nur noch zum Spaß.

IHR wurden früh alle Türen lautstark unter der Nase zugeknallt. IHR streckt keiner die Hand helfend aus, SIE muss zusehen wovon SIE ihr Kind und sich ernähren soll. SIE sucht dringend Arbeit, ist nicht wählerisch, aber wenn sich mal einer bei ihr meldet, ist es immer ein Mann und ruft nur um „Sex mit einer Schwarzen“ zu haben.

Das alte Steinhaus auf dem Land hat ER in mühevoller Arbeit sanieren lassen und schon bezahlt.

im Flüchtlingslager kann SIE die täglichen Misshandlungen nicht mehr ertragen, und unter die Brücke ist SIE mit ihrem Kind, den Rassisten schutzlos ausgeliefert.