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Pinke Bäume

Maya Helget

Maya Helget
Foto: MH

Die Menschen im Zugabteil waren pikiert: Mischko und Anton tranken Bier, um halb zwei am Tage. Ihre Kleidung, diese dunklen Lumpen und die Piercings im Gesicht. Dazu noch die lauten, hochtrabenden Stimmen, die im lächerlichen Englisch daherkamen. Aber unverzeihlich war es, dass sie sich an den Händen hielten, nicht durchgehend, aber manches Mal. Was sollte das? Zwei Jungen halten sich doch nicht an den Händen, dachte sich ein Mann um die 50 mit Namen Laszlo. Nichts wäre Laszlo unechter, affektierter und merkwürdiger vorgekommen als diese zwei Jungen. Nein, so benimmt man sich nicht. Nicht bei uns in Rumänien. Das müssen ohne Zweifel Ausländer sein. Ausländer auf Reisen. Und zwar solche, die mit den Zigeunern sympathisieren, verdorbene Jungen, denen die Untugend zum Verhängnis werden sollte. Wieso konnten die beiden ihre Freundschaft nicht anders bezeugen als durch diese übertriebenen Bekundungen. Er rümpfte die Nase und stieß heimlich Gebete gen Himmel. Er musste sich um wichtigere Dinge Gedanken machen. Er war Lehrer in einer Grundschule und morgen gab es in der Kirche seiner Stadt eine große Zeremonie, an der er mit seinen Schülern teilnehmen sollte. Er war bis in die Fingerspitzen und Zehen hinein dermaßen angespannt, dass man ihn mit dem Bogen des Robin Hood hätte vergleichen können. Morgen sah er sie wieder. Seine geliebte Kirchenmusikerin, die Orgelspielerin. Die Muskelfasern seiner Arme und Beine schoben sich brutal gegen seine eigenen Knochen, er hatte das Gefühl, als ob er innerlich von seiner eigenen Spannung zerquetscht werden würde. Wie konnte er sie damals nur ablehnen? Es war der größte Fehler seines Lebens gewesen, er litt seit vielen Jahren deshalb. Natürlich, er war damals mit einer anderen Frau verheiratet gewesen, aber die Ehe war nichts als ein Trauerspiel gewesen, von Anfang an. Er hätte die Orgelspielerin wählen sollen, er hätte das Leben wählen müssen. Doch er hatte sich falsch entschieden und deshalb musste er nun leiden. Er war selbst schuld. Sein Gesicht war bleich und seine Lippen zitterten. Morgen, morgen, dachte er. Sie könnte mich noch lieben. Sie hat es einmal getan, also könnte sie es womöglich wieder tun. Es war seine letzte Chance, das wusste es er. Er würde sich ihr anbieten. Wenn sie fertig gespielt hatte, würde er zu ihr gehen und ihre Hand an sein Herz führen. Er würde ihr sein Leid geben, nur für wenige Sekunden. Wenn sie Mitgefühl hatte, musste sie ihn doch erlösen. Sie musste einfach.

Was ist bloß los mit diesem Mann, dachte sich Eugenia, eine 25 jährige, hübsche Frau, die unentwegt ihre Finger zum Knacken brachte. Dieser Typ, der ihr gegenüber saß, machte sie ganz nervös, man konnte sehen wie er immer wieder die Beine streckte mit einer Selbstfeindlichkeit, die Eugenia selten gesehen hatte. Sein Gesicht war bleich und seine Lippen zitterten. Und wie sich seine Augen regelmäßig bis zum Äußersten mit Tränen füllten, ohne dass das Fass tatsächlich übergelaufen wäre. Alles an ihm war Mitleid erregend. Und sie hasste das Gefühl von Mitleid, es war ihr tatsächlich das meist verhasste Gefühl. Es machte sie wütend. Zum Glück waren da noch die zwei jungen Männer. Eugenia mochte ihre unkonventionelle Art. Wie alt die beiden wohl waren? Vielleicht 20 Jahre? Eugenia hätte gerne Teil gehabt an den leichten Späßen, die die beiden laut im Abteil herausprusteten. Auch Bier hätte sie gerne mitgetrunken. Sie war schließlich erst 25 und auch wenn man in Rumänien normalerweise früher Verantwortung übernimmt, so musste das ja nicht für sie selbst gelten. Sie wollte nicht erwachsen sein. Noch konnte sie ihre Erziehung und ihre Rolle als Frau nicht vergessen. Konnte es nicht über sich bringen, das Bier, das sie in ihrer Tasche hatte, den öffentlichen Augen preiszugeben, sich der Demütigung hinzugeben. Ihre Mutter wäre beschämt gewesen. Man weiß nie, vielleicht ist eine Bekannte ihrer Mutter in der Nähe und stiert mit ihren Adleraugen umher, nur um jemanden wie Eugenia in die Pfanne zu hauen. Nein, es ist besser, sie trank das Bier in der Zugtoilette, heimlich, wie sie es sich vorgenommen hatte. So blieb ihr Gesicht und das ihrer Familie gewahrt. Sie fand es niedlich, wie die beiden Jungen sich ab und z an den Händen hielten. Es war zwar ungewöhnlich, doch Eugenia erinnerte es an ihren kleinen Sohn und deren besten Freund, die sie in Ungarn hatte zurücklassen müssen. Auch diese zwei hatten ich beim Laufen über die Felder manchmal die Hand gereicht. Für sie war es der Inbegriff von Unschuld. Sie vermisste ihren Sohn nicht. Sie wollte keine Verantwortung.