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Integration Interview

,,Interkulturelle Öffnung ist eine Herausforderung an Migranten“

Seit 1993 leitet Dr. Hidir Celik die Evangelische Migrations- und Flüchtlingsarbeit Bonn (EMFA) / Integrationsagentur. Er war zugleich  Gründer und von 1995 bis April 2018 Vorsitzender des Bonner Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelles Lernen (BIM) e.V. Eher bekannt ist er für seine Liebe für die Sprachen und Literatur; seine Muttersprache sowie die deutsche Sprache. Er hat die Bonner Buchmesse Migration, die bisher 11. Mal im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland stattgefunden hat, ins Leben gerufen. Mit seinen Geschichten und Gedichten setzt er sich sozial- und gesellschaftskritisch mit der Themen Migration, Flucht und Diskriminierung im Alltag auseinander. Als Zuwanderer aus der Türkei und engagierter Migrationsforscher versucht er, gegen bestehende gesellschaftliche Vorurteile anzukämpfen. In einem Interview mit ,,Die Grenze” betont er, dass eine Begegnung mit Menschen ohne Vorurteile ein erster Schritt für ein gelungenes Zusammenleben sei. Migrantenorganisationen sollen dafür sorgen, solche Begegnungen zu ermöglichen.  

Die Grenze: Sie sind seit den 90er Jahren mit den Themen Migration und interkulturelle Aktivitäten beschäftigt. Wie haben die Migranten, Ihrer Meinung nach, zur Entwicklung der deutschen Gesellschaft besonders beigetragen?

Hidir Celik: Die erste Generation der Zuwanderer kam nach dem Zweiten Weltkrieg, ab 1955, nach Deutschland, sie haben das Land wiederaufgebaut und damit trugen sie zu dem Wohlstand bei, den die Menschen heutzutage hier haben. Mittlerweile haben wir die vierte Generation, die auch weiterhin für wirtschaftlichen und sozialen Wohlstand und Stabilität in der Gesellschaft sorgt. Heute macht sich Vielfalt auf allen Ebenen der Gesellschaft sichtbar. Menschen mit Migrationsgeschichte arbeiten in vielen wirtschaftlichen Bereichen, in denen die Deutschen nicht beschäftigt werden können oder wollen. Darüber hinaus sorgen sie auch dafür, Arbeitsplätze zu schaffen. Es gibt den Schätzungen nach bundesweit über 200.000 kleine Betriebe wie Friseure, Lebensmittelläden, Bäckereien, die über 400.000 Menschen beschäftigen. Dadurch leisten die Zuwanderer einen wichtigen Beitrag zur deutschen Wirtschaft und auch zum sozialen Frieden. 

Jede Initiative von Zuwanderern oder Geflüchteten ist ein Gewinn für die Gesellschaft.

Die Grenze: Es gibt viele Diskussionen über Integration in Deutschland. Welchen Aspekt der Diskussion finden Sie am Wichtigsten?

Hidir Celik: Der Begriff Integration sagt allein nicht viel. Es ist ein Prozess. Es sollte als ein Prozess gesehen werden, in dem die Menschen miteinander friedlich zusammen leben können, in dem beide Seiten ihre Vorurteile abbauen und aufeinander zugehen können. Es ist ein Prozess, den man überall in der Nachbarschaft, Arbeit oder Schule lebt. Aber es ist wichtig, dass die Mehrheitsgesellschaft ihre Strukturen so aufbaut, dass die Zuwanderer oder Geflüchteten gleiche Chancen bekommen, um Teil der Gesellschaft zu werden, zugleich sie weiter zu entwickeln und gestalten. Es soll ein Klima des Miteinanders geschaffen werden, dass die Zuwanderer hier nicht als Belastung, sondern als gleichberechtigte Bürger geschätzt werden. Wenn die Migranten die gleichen Chancen bekommen, zusammen mit der Mehrheitsgesellschaft ihre Zukunft mitzugestalten, dann ist eine gelungene Integration vollbracht.

Die Grenze: Das Haus Migrapolis ist schon als ein Zentrum oder Treffpunkt der interkulturellen Aktivitäten in Bonn anerkannt worden. Was haben Sie durch diese interkulturellen Aktivitäten, die von vielen Migrantenvereinen organisiert werden, erzielt?

HIdir Celik im Büro
HIdir Celik im Büro

Hidir Celik: Migrapolis ist als Haus der Vielfalt bekannt, es wurde 2011 eingerichtet, um einen Raum für Begegnung in Bonn zu ermöglichen, in dem die Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Ländern sich treffen, um ein Zusammenleben in unserer Stadt zu gestalten. Zum Beispiel, wenn die Deutschen mehr über die arabische, türkische oder andere Kulturen wissen möchten, dann kommen sie hier und treffen die Menschen aus diesen Kulturkreisen. Migrapolis fördert einen Dialog und ermöglicht ein Gespräch zwischen den unterschiedlichen Gruppen in der Gesellschaft. Wenn man mit anderen im Gespräch kommt, dann kann man die Vorurteile leichter abbauen.

Die Grenze: Jedes Jahr melden sich in Bonn immer mehr neue Migrantenselbstorganisationen an. Sie suchen nach der Möglichkeit für Zusammenarbeit mit der Stadt und mit anderen Vereinen. Was würden Sie für solche neue Vereine oder Organisationen vorschlagen?

Hidir Celik: Jede Initiative von Zuwanderern oder Geflüchteten ist ein Gewinn für die Gesellschaft. Sie müssen dafür arbeiten und Wege finden, um sich zu Präsenz zu verschaffen, indem sie eigene Vorurteile über die deutsche Gesellschaft abbauen können. Das ist der erste Schritt. Sie sollen sich nicht in die eigene Diaspora zurückziehen, sondern sie sollen sich für andere Kulturen öffnen. Ich hoffe, dass Seraji Foundation e.V. auch dies tut. Die bestehenden Vorurteile in der Gesellschaft kann man nur dann abbauen, wenn man als Verein aufgeschlossen bleibt. Es heißt aber nicht, dass man die eigene Kultur nicht vertreten darf. Die Organisationen müssen Strukturen schaffen, um andere Kulturen wahrzunehmen und gleichzeitig interkulturell oder transkulturell zu agieren. Interkulturelle Öffnung ist nicht nur eine Aufgabe der Mehrheitsgesellschaft, sondern auch eine Herausforderung an die Migrantenselbstorganisationen.