Kategorien
Artikel Integration

Rassistische Gewalt – Sicherheitskräfte im Farbgefängnis gefangen?

Serge Palasie

faust©SP

Wie tief die durch die Jahrhunderte des Rassismus geschürte, irrationale Angst in weiß dominierten Gesellschaften vor nicht-weiß gelesenen Menschen sitzt, wird durch vollkommen überzogene Gewalt bei Einsätzen von Sicherheitskräften leider immer wieder deutlich. Diese Angst, die Vorbehalte, die Empathielosigkeit wurden in Zeiten des trans-atlantischen Versklavungshandels und welt-weiten Kolonialismus bewusst geschürt, um die ökonomisch kalkulierte koloniale Gewalt zu rechtfertigen. Sie haben sich im Laufe der Zeit vielfach verselbstständigt. Dessen sind sich viele nicht bewusst. Einige negieren solche Zu-sammenhänge sogar bewusst. Damit es klar ist: Rassismus ist ein Erbe des Kolonialismus und kostet auch heute noch Menschenleben. Jüngst ging der Fall des 16-jährigen Senegalesen Mouhamed Lamine Dramé durch die Medien, der am 8. August 2022 in Anwesenheit von 12 (!) Polizist*innen scheinbar nicht anders überwältigt werden konnte, als durch tödliche Schüsse. Entweder hatten alle beteiligten Gesetzeshüter*innen eine grottenschlechte Ausbildung genossen oder sie scheinen die Verhältnismäßigkeit der Mittel bei Einsätzen variabel – und zulasten nicht-weißer Menschen – auszulegen. Dass dies kein Einzelfall ist, ist die traurige Wahrheit.

Tödliche Signale

Nein, nicht „nur“ in den USA werden Schwarze und andere nicht-weiße Menschen um ein Vielfaches häufiger Opfer von Polizeigewalt. Und nach den Gewalttaten selbst sorgen eine vielfach in Farbgefängnissen festsitzende Justiz und sogenannte interne Ermittlungen dafür, dass Täter*innen viel zu selten zur Rechenschaft gezogen werden. Der Fall Oury Jalloh sei hier stellvertretend für weitere als trauriges deutsches Beispiel zu nennen. Jeder Fall, bei dem die Täter*innen in Schutz genommen werden, sendet im wahrsten Sinne des Wortes tödliche Signale aus. Diese Vertuschungspolitik ist das Gegenteil von Schadensbegrenzung – im gesellschaftlichen Sinne. Immerhin hatte die brutale Ermordung des US-Amerikaners George Floyds am 25. Mai 2020 ausnahmsweise juristische Folgen. Somit sind uns die USA, auf die wir hierzulande immer wieder gerne mit dem Finger zeigen, wenn es um rassistische Gewalt geht, einen Schritt voraus.

Erodierende Glaubwürdigkeit

Solange die Politik keine entschiedenen Maßnahmen beschließt, dürfen sich negativ von Rassismus betroffene Menschen auch in Deutschland berechtigterweise fragen, für wen unsere Gesellschaft Sicherheit und Schutz vor (staatlicher) Gewalt bietet und für wen nicht. Ein Land, das immer wieder stolz auf seine Zugehörigkeit zur „westlichen Wertegemeinschaft“ verweist und andere Länder auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam macht, sollte zuerst mal die Hausaufgaben bei sich selbst machen – sowohl um im nationalen als auch im internationalen Kontext auf Glaubwürdigkeit hoffen zu dürfen. Rhetorik reicht nicht. Das Vertrauen in unsere Sicherheitskräfte schwindet. Der Schutz von Straftäter*innen in den Reihen unserer Sicherheitskräfte ist moralisch untragbar und schürt auch Ressentiments gegen all diejenigen, die ihre Arbeit gut machen. Solange hier Handlungsbedarf besteht, muss sich die Zivilgesellschaft lautstark Gehör verschaffen. Ob von Rassismus negativ betroffen oder nicht – jede Person zählt.

Serge-Palasie©SP
Serge Palasie ©SP

Bildungsmaßnahmen früh ansetzen

Um hier voranzukommen, bedarf es konsequenter Sensibilisierung. Bildungsmaßnahmen sollten echte, über ritualisierte Floskeln hinausgehende Vielfaltkompetenzen vermitteln. Niemand, die*der für öffentliche Sicherheit verantwortlich ist, darf davon künftig ausgenommen sein – vom Ordnungsamt bis zur Polizei. Aber wir müssen noch viel früher ansetzen: Unsere Kinder werden trotz punktueller Fortschritte noch immer mit veralteten Sichtweisen konfrontiert, die das Festsitzen im jeweiligen Farbgefängnis begünstigen. Das fängt schon mit fragwürdigen Büchern in Kita und Schule an, die Rassismen reproduzieren. Wenn die künftigen Erwachsenen erst einmal durch „diese Schule“ gegangen sind, wird es schwerer, das eigene rassistisch geprägte Denken kritisch zu reflektieren und sich gegebenenfalls zu ändern. Da wir von einem verbreiteten Phänomen sprechen, kommt erschwerend hinzu, dass sich solche Menschen gegenseitig decken und in Schutz nehmen – in allen gesellschaftlichen Kontexten. Eine Farbgefängnisse überwindende Empathiefähigkeit sollte daher bereits möglichst früh vermittelt werden – vor dem Hintergrund des demografischen Wandels umso mehr. Eine Politik, die hier zögert, spielt mit dem gesellschaftlichen Zusammenhalt und der Zukunftsfähigkeit Deutschlands.